Der Rheingau, eine der kleinsten, aber auch traditionsreichsten Weinbauregionen Deutschlands, erstreckt sich entlang des Rheins zwischen Wiesbaden und Rüdesheim. Diese bezaubernde Landschaft mit ihren sanften Hügeln, terrassierten Weinbergen und malerischen Weindörfern ist nicht nur ein Paradies für Weinliebhaber, sondern auch ein Ort von großer historischer und kultureller Bedeutung. In diesem Artikel nehmen wir Sie mit auf eine Reise durch den Rheingau und entdecken gemeinsam die Weine, Geschichte und landschaftliche Schönheit dieser einzigartigen Region.
Die Weinregion Rheingau: Kleine Fläche, große Tradition
Mit einer Rebfläche von nur etwa 3.000 Hektar gehört der Rheingau zu den kleineren Weinanbaugebieten Deutschlands. Doch was ihm an Größe fehlt, macht er durch seine herausragende Bedeutung für die Weinkultur wieder wett. Hier, an den nach Süden ausgerichteten Hängen des Taunus, werden seit mehr als 1.000 Jahren Reben kultiviert.
Riesling: Der König der Trauben
Der Riesling ist mit etwa 80% Anteil an der Rebfläche die dominierende Rebsorte im Rheingau. Die Kombination aus dem milden Klima, den mineralreichen Schieferböden und der Nähe zum Rhein, der als Wärmespeicher fungiert, schafft ideale Bedingungen für diese anspruchsvolle Traube. Die Rieslingweine des Rheingaus zeichnen sich durch ihre elegante Säurestruktur, mineralische Noten und ein beeindruckendes Alterungspotenzial aus.
Typische Aromen des Rheingau-Rieslings umfassen:
- Apfel und Pfirsich
- Zitrusfrüchte
- Blütenduft
- Mineralische Noten
- Bei älteren Weinen auch die charakteristische Petrolnote
Spätburgunder: Die rote Ausnahme
Obwohl der Rheingau vor allem für seine Weißweine bekannt ist, hat hier auch der Spätburgunder (Pinot Noir) eine lange Tradition. Auf etwa 12% der Rebfläche wird diese anspruchsvolle rote Rebsorte angebaut, die besonders an den wärmeren Lagen wie dem Assmannshäuser Höllenberg hervorragende Ergebnisse erzielt. Die Spätburgunder des Rheingaus sind in der Regel eleganter und filigraner als ihre Pendants aus wärmeren Regionen.
Die Weinbaugebiete und ihre Besonderheiten
Der Rheingau lässt sich grob in vier Teilgebiete unterteilen, die jeweils ihre eigenen Charakteristika aufweisen:
- Östlicher Rheingau (rund um Wiesbaden und Hochheim): Hier dominieren Lössböden, die vollmundige, kräftige Weine mit ausgeprägter Frucht hervorbringen.
- Mittlerer Rheingau (von Eltville bis Oestrich-Winkel): Die Vielfalt an Böden – von Löss über Lehm bis hin zu Quarzit – führt zu einer großen Bandbreite an Weinstilen.
- Westlicher Rheingau (rund um Rüdesheim): Die steilen, nach Süden ausgerichteten Schieferhänge bringen mineralische, komplexe Weine hervor.
- Assmannshausen: Die roten Schieferböden dieses kleinen Ortes bieten ideale Bedingungen für den Spätburgunder-Anbau.
Historische Bedeutung des Rheingauer Weinbaus
Der Weinbau im Rheingau kann auf eine mehr als tausendjährige Geschichte zurückblicken. Bereits im 8. Jahrhundert wurden hier nachweislich Reben kultiviert, doch den entscheidenden Impuls für die Entwicklung der Region gaben die Klöster im Mittelalter.
Kloster Eberbach: Wiege der Weinkultur
Das 1136 gegründete Zisterzienserkloster Eberbach entwickelte sich schnell zu einem Zentrum des Weinbaus. Die Mönche brachten nicht nur das nötige Wissen mit, sondern hatten auch die Ressourcen, um große Flächen zu bewirtschaften und neue Techniken zu entwickeln. Zum Höhepunkt ihrer Macht bewirtschafteten die Zisterzienser rund 300 Hektar Weinberge – eine beachtliche Fläche für damalige Verhältnisse.
Heute ist Kloster Eberbach nicht nur ein architektonisches Juwel, sondern beherbergt auch die Staatliche Weinbaudomäne Hessen. Die historischen Kellergewölbe können besichtigt werden und dienen als stimmungsvoller Rahmen für Weinproben und kulturelle Veranstaltungen. Film-Fans kennen das Kloster vielleicht als Drehort für "Der Name der Rose" mit Sean Connery.
Die Spätlese-Legende von Schloss Johannisberg
Eine der berühmtesten Anekdoten der deutschen Weingeschichte ereignete sich 1775 auf Schloss Johannisberg. Der Legende nach verspätete sich der Bote, der die Erlaubnis zur Weinlese vom Fürstbischof von Fulda überbringen sollte, um mehrere Wochen. In dieser Zeit wurden die Trauben von Edelfäule (Botrytis cinerea) befallen. Trotz des vermeintlichen Unglücks entschied man sich, die Trauben zu keltern – und war überrascht vom außergewöhnlichen Geschmack des Weins. Die Spätlese war geboren!
Ob die Geschichte in allen Details stimmt, ist heute nicht mehr nachzuweisen. Fest steht jedoch, dass Schloss Johannisberg zu den Pionieren des qualitätsorientierten Weinbaus gehörte und bis heute zu den renommiertesten Weingütern der Region zählt.
Innovation und Tradition
Der Rheingau war stets ein Zentrum der Innovation im Weinbau. Hier wurden nicht nur Prädikatsstufen wie Spätlese und Auslese entwickelt, sondern auch die Bedeutung verschiedener Lagen (Terroir) früh erkannt und dokumentiert. Die erste Lagenklassifikation im Rheingau erfolgte bereits Anfang des 19. Jahrhunderts.
Gleichzeitig ist die Region tief in ihren Traditionen verwurzelt. Viele Weingüter blicken auf eine jahrhundertelange Familientradition zurück, und althergebrachte Methoden werden nach wie vor geschätzt – ergänzt durch moderne Technologie, wo sie sinnvoll ist.
Die schönsten Orte im Rheingau
Der Rheingau ist nicht nur für Weinliebhaber ein lohnendes Reiseziel, sondern auch für alle, die malerische Dörfer, historische Bauwerke und eine bezaubernde Flusslandschaft zu schätzen wissen.
Rüdesheim am Rhein
Die wohl bekannteste Touristenattraktion des Rheingaus ist Rüdesheim mit seiner berühmten Drosselgasse. Die enge, gepflasterte Gasse mit ihren zahlreichen Weinstuben, Restaurants und Souvenirläden zieht jährlich Millionen von Besuchern an. Doch Rüdesheim hat weit mehr zu bieten:
- Die Seilbahn zum Niederwalddenkmal bietet atemberaubende Ausblicke über den Rhein und das Rheingauer Weinland.
- Das Niederwalddenkmal selbst, eine 38 Meter hohe Statue der Germania, wurde nach dem Deutsch-Französischen Krieg 1871 errichtet und symbolisiert die deutsche Einheit.
- Das Siegfrieds Mechanisches Musikkabinett beherbergt eine der größten Sammlungen selbstspielender Musikinstrumente in Europa.
- Die Brömserburg, eine der ältesten Burgen des Mittelrheintals, beherbergt heute das Rheingauer Weinmuseum.
Eltville am Rhein
Die "Stadt der Rosen und des Weins" ist bekannt für ihre mittelalterliche Altstadt, die Kurfürstliche Burg und die zahlreichen Rosengärten. Hier finden Sie auch die älteste erhaltene Sektkellerei Deutschlands, Schloss Reinhartshausen (heute ein Luxushotel) und eine lebendige Kulturszene.
Kloster Eberbach
Abseits des Rheins, eingebettet in die Weinberge des Erbach, liegt das ehemalige Zisterzienserkloster Eberbach. Die beeindruckende romanisch-gotische Anlage ist einer der besterhaltenen mittelalterlichen Klosterkomplexe in Europa. Besonders sehenswert sind:
- Die Basilika mit ihrer schlichten, für die Zisterzienser typischen Architektur
- Der Dormitorium (Schlafsaal der Mönche) mit seinem imposanten Holzdachstuhl
- Die historischen Weinkeller mit den großen Holzfässern
- Der Kapitelsaal, in dem Szenen für "Der Name der Rose" gedreht wurden
Oestrich-Winkel
Diese aus mehreren Dörfern zusammengeschlossene Gemeinde beherbergt zahlreiche historische Gebäude und berühmte Weinlagen. Besonders sehenswert sind:
- Der Oestricher Kran, ein historischer Verladekran am Rhein
- Schloss Vollrads, eines der ältesten Weingüter der Welt mit dokumentiertem Weinverkauf bereits im Jahr 1211
- Das Brentanohaus in Winkel, in dem Goethe oft zu Gast war
Wein erleben: Verkostungen und Veranstaltungen
Der Rheingau bietet zahlreiche Möglichkeiten, die Weinkultur der Region hautnah zu erleben – von einfachen Verkostungen über geführte Touren bis hin zu großen Weinfesten.
Weingüter und Straußwirtschaften
Viele Weingüter im Rheingau bieten Führungen und Verkostungen an, bei denen Besucher die Weine direkt vom Erzeuger kennenlernen können. Besonders empfehlenswert sind:
- Schloss Johannisberg: Das erste Riesling-Weingut der Welt bietet Führungen durch die historischen Keller und Verkostungen seiner prämierten Weine.
- Weingut Robert Weil in Kiedrich: Berühmt für seine edelsüßen Rieslinge, die selbst an königlichen Tafeln serviert wurden.
- Weingut Georg Breuer in Rüdesheim: Bekannt für mineralische, trockene Rieslinge aus Spitzenlagen wie dem Rüdesheimer Berg Schlossberg.
- Weingut Baron Knyphausen in Eltville: Ein traditionsreiches Weingut mit moderner Vinothek und schönem Blick über die Weinberge.
Eine Besonderheit des Rheingaus sind die sogenannten "Straußwirtschaften" oder "Gutsausschänke". Diese temporären Weinstuben dürfen von Winzern für maximal vier Monate im Jahr betrieben werden und bieten neben den eigenen Weinen oft auch einfache, regionale Speisen an. Die ungezwungene Atmosphäre und die Möglichkeit, mit den Winzern selbst ins Gespräch zu kommen, machen einen Besuch besonders authentisch.
Weinwanderwege und Radtouren
Den Rheingau zu Fuß oder mit dem Rad zu erkunden, ist eine wunderbare Möglichkeit, die Landschaft und den Wein gleichermaßen zu genießen:
- Der Rheinsteig, ein 320 km langer Premiumwanderweg, führt auch durch den Rheingau und bietet spektakuläre Ausblicke auf den Fluss und die Weinberge.
- Der Rheingauer Riesling-Pfad verbindet auf etwa 120 km Länge die wichtigsten Weinorte der Region.
- Der Rheinradweg ist ideal für gemütliche Fahrradtouren entlang des Flusses, mit vielen Einkehrmöglichkeiten.
Viele Gemeinden bieten auch thematische Weinwanderwege an, oft mit Informationstafeln zu Rebsorten, Weinbau und lokaler Geschichte. Ein Highlight ist der "Wein-Erlebnis-Pfad" in Eltville mit interaktiven Stationen rund um das Thema Wein.
Weinfeste und Veranstaltungen
Im Rheingau wird das ganze Jahr über der Wein gefeiert, besonders in den Sommermonaten jagt ein Fest das nächste:
- Das Rheingauer Weinwochenmarkt in Wiesbaden (Mai bis September): Jeden Freitag und Samstag präsentieren Rheingauer Winzer ihre Weine am Marktplatz.
- Die Rheingauer Schlemmerwochen (April/Mai): Weingüter und Restaurants bieten besondere Menüs mit Weinbegleitung an.
- Das Rheingauer Weinfest in Rüdesheim (dritte Augustwoche): Eines der größten Weinfeste der Region mit Festumzug und Feuerwerk.
- Das Eltville Sekt- und Biedermeier-Festival (Juli): Eine Veranstaltung, die die Sektherstellung der Region feiert.
- Der Wiesbadener Weinwoche (August/September): Ein zehntägiges Weinfestival auf dem Schlossplatz.
Das absolute Highlight ist jedoch das Rheingauer Weinefest in Frankfurt am Main, das jährlich im August/September auf dem Freßgass und dem Roßmarkt stattfindet. Über 600 Weine von rund 40 Weingütern können hier verkostet werden – eine einmalige Gelegenheit, die Vielfalt der Region kennenzulernen.
Kulinarik: Was passt zum Rheingauer Wein?
Die Küche des Rheingaus ist bodenständig und regional geprägt, bietet aber ausgezeichnete Begleiter zum lokalen Wein.
Traditionelle Gerichte
Zu den klassischen Gerichten der Region zählen:
- Handkäs mit Musik: Ein säuerlicher Sauermilchkäse, serviert mit Essig, Öl und Zwiebeln ("Musik" bezieht sich humorvoll auf die Verdauungsgeräusche nach dem Genuss).
- Spundekäs: Eine cremige Mischung aus Frischkäse, Quark, Zwiebeln und Paprika, ideal als Brotaufstrich.
- Rieslingsuppe: Eine leichte Suppe aus Riesling, Sahne und Eigelb, oft mit Fleischklößchen serviert.
- Rheingauer Rieslingbraten: Schweinebraten in Riesling-Marinade, langsam geschmort.
- Forellen aus dem Wispertal: Die Bäche des Taunus liefern fangfrische Forellen, die oft blau oder geräuchert serviert werden.
Moderne regionale Küche
In den letzten Jahren hat sich im Rheingau eine moderne, kreative Küche entwickelt, die regionale Produkte mit zeitgemäßen Zubereitungsmethoden kombiniert. Viele Weingüter haben eigene Restaurants eröffnet, in denen Spitzenköche Gerichte kreieren, die perfekt mit den hauseigenen Weinen harmonieren.
Besonders empfehlenswert sind:
- Das Restaurant Schwarzenstein in Geisenheim-Johannisberg mit seiner modernen, mediterranen Küche.
- Das Restaurant im Kronenschlösschen in Eltville-Hattenheim, das jährlich das Rheingau Gourmet Festival ausrichtet.
- Das Restaurant Dionysos im Weingut Allendorf, das traditionelle deutsche Gerichte neu interpretiert.
Praktische Reisetipps für den Rheingau
Beste Reisezeit
Der Rheingau ist grundsätzlich ganzjährig einen Besuch wert, aber besonders schön ist die Region:
- Im Frühling (April bis Juni), wenn die Reben austreiben und die Natur erwacht.
- Im Spätsommer und Herbst (August bis Oktober) während der Weinlese, wenn die Weinberge in bunten Farben leuchten und überall Weinfeste stattfinden.
Die Hauptsaison liegt zwischen Mai und Oktober, wer es ruhiger mag, sollte außerhalb dieser Zeit reisen. Im Winter haben viele Straußwirtschaften geschlossen, dafür bieten die größeren Weingüter besondere Winterverkostungen an.
Anreise und Mobilität
Der Rheingau ist verkehrstechnisch gut erschlossen:
- Mit dem Auto: Die A66 führt von Frankfurt nach Wiesbaden, von dort erreicht man über die B42 die Rheingau-Orte. Alternativ kann man auch über die rechtsrheinische B42 anreisen.
- Mit der Bahn: Die rechtsrheinische Bahnstrecke verbindet Frankfurt mit Wiesbaden und führt weiter über Eltville, Oestrich-Winkel und Rüdesheim bis Koblenz.
- Mit dem Schiff: Von April bis Oktober verkehren Ausflugsschiffe auf dem Rhein und verbinden die wichtigsten Orte.
Vor Ort empfiehlt sich:
- Die Rhein-Main-Verkehrsverbund-Tageskarte, mit der man alle öffentlichen Verkehrsmittel in der Region nutzen kann.
- Der Rheinweinwiesbaden-Bus, der an Wochenenden im Sommer Wiesbaden mit den Weinorten verbindet.
- Ein Fahrrad – viele Hotels bieten einen Verleihservice an, oder man nutzt die Leihstationen des nextbike-Systems.
Unterkünfte
Der Rheingau bietet Unterkünfte für jeden Geschmack und Geldbeutel:
- Weingüter mit Gästezimmern: Viele Weingüter bieten mittlerweile Übernachtungsmöglichkeiten an, von einfachen Gästezimmern bis hin zu luxuriösen Suiten.
- Historische Hotels: Einige der schönsten Hotels der Region sind in historischen Gebäuden untergebracht, wie das Kronenschlösschen in Hattenheim oder das Hotel Schwan in Oestrich-Winkel.
- Ferienwohnungen: Eine gute Option für Familien oder längere Aufenthalte.
- Camping: Der Campingplatz in Rüdesheim bietet einen spektakulären Blick auf den Rhein.
In der Hochsaison und während großer Veranstaltungen wie dem Rheingauer Weinefest sollten Unterkünfte frühzeitig gebucht werden.
Fazit: Der Rheingau – ein Muss für Weinliebhaber und Kulturinteressierte
Der Rheingau mag flächenmäßig eine der kleinsten Weinregionen Deutschlands sein, doch in Sachen Tradition, Qualität und landschaftlicher Schönheit steht er ganz oben. Die einzigartige Kombination aus erstklassigen Weinen, malerischen Dörfern, historischen Sehenswürdigkeiten und der bezaubernden Rheinlandschaft macht die Region zu einem perfekten Reiseziel – ob für einen Tagesausflug, ein Wochenende oder einen längeren Urlaub.
Besonders reizvoll ist die Möglichkeit, die Weinkultur auf so vielfältige Weise zu erleben: Bei einer Verkostung im jahrhundertealten Weinkeller, während einer Wanderung durch die Weinberge, auf einem der zahlreichen Weinfeste oder bei einem exquisiten Dinner mit Weinbegleitung.
Der Rheingau ist mehr als nur eine Weinregion – er ist ein Lebensgefühl, geprägt von Genuss, Tradition und Gastfreundschaft. Wer einmal hier war, kommt immer wieder.
Haben Sie schon Erfahrungen im Rheingau gesammelt? Welches Weingut oder welcher Ort hat Sie besonders beeindruckt? Wir freuen uns auf Ihre Kommentare und Tipps!